Die Illusion Twitter

Gestern ging ein Raunen durch die Blogosphäre und schuld war das Marktforschungsunternehmen Nielsen, das „herausgefunden“ hat, dass das Wachstum von Twitter zwar weltrekordverdächtig ist (im letzten Jahr ca. 1382 Prozent Wachstum), allerdings 60 Prozent der Nutzer im Folgemonat (nach Anmeldung) nicht mehr zurückkehren. Das ist in der Tat ziemlich lustig. Holger Schmidt, der Netzökonom der F.A.Z.-Online, schob diese Zahlen auch gleich auf die Tatsache zurück, Nielsen hätte sämtliche Applikationen für den Microblogging-Dienst außen vor gelassen.

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In diesem Zusammenhang konnte ich mir das Lachen nicht verkneifen, als Holger Schmidt schrieb:

» David Martin vom Marktforschungsunternehmen Nielsen versetzt der Twitter-Gemeinde einen Dämpfer […] Es fällt vor allem Neueinsteigern immer schwerer, wahrhaft interessante Twitterer zu finden. Viele Neulinge sind mit dem Filtern überfordert und bekommen das Gefühl, mit Twitter ihre Zeit zu verschwenden – obwohl Twitter als Instrument für den schnellen Informationsfluss und die schnelle Kommunikation genial ist. «

Schmidt erläutert nachfolgend sehr richtig, dass es für Neueinsteiger sehr schwierig ist, an relevante Informationen beziehungsweise an Tweets zu kommen. Aber ich habe eine Frage, die eigentlich auch jedem erfahrenen Web-Nutzer schon auf der Zunge liegen müsste: Was erwarten wir von Twitter, und wenn wir was erwarten, ist es vielleicht ein bisschen viel?

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Zu twittern ist ja mehr als schick, so rein gefühlt, und die Diskussionen über den Nutzwert von Twitter müssen wir uns nicht (schon wieder) streiten. Ich glaube, viele Twitter-Nutzer machen aus der Nummer eine zu große Sache und da kann man sich Holger Schmidt nur anschließen, wenn er schreibt, Neulinge haben das Gefühl, ihre Zeit dort zu verschwenden. Ja, er hat auch recht, dass anfangs einige Verständnis-Barrieren zu erklimmen sind, aber selbst danach, bleibt nicht allzuviel. Womit Schmidt meiner Meinung nach falsch liegt, ist, dass Twitter für den schnellen Informationsfluss und schnelle Kommunikation genial ist.

Denn genau hier ist die Sollbruchstelle des Nutzwertes: Wirkliche Informationen fließen nicht auf Twitter. Dafür gibt es viele Gründe, der wichtigste ist die Einschränkung auf 140 Zeichen. Der Nutzwert liegt in den Adjektiven, die Schmidt benutzt, sprich: schnell. Mehr ist Twitter nicht.

Nützliche Dinge, Informationen, können nur von externen Quellen eingebunden werden, durch Links und so weiter. So kommt man natürlich schneller an Informationen, wenn man denn erfahren mit Twitter umgeht, aber Twitter ist kein Ort der Informationen, dafür wurde dieser Dienst auch nicht erschaffen. So ist es auch lustig, dass David Martin vom Marktforschungsunternehmen Nielsen seine Untersuchung mit folgenden Worten beendet:

» Twitter has enjoyed a nice ride over the last few months, but it will not be able to sustain its meteoric rise without establishing a higher level of user loyalty. Frankly, if Oprah can’t accomplish that, I’m not sure who can. «

Damit wird eigentlich alles auf den Punkt gebracht und irgendwie höre ich auch Spott aus Martins Statement heraus. Was soll Twitter in den Augen der Nutzer eigentlich sein? Hat über diese Frage schon mal wer nachgedacht? Wir hatten den Amoklauf mit einer anschließenden hitzigen Diskussion über die Do’s und Don’t’s der Medien, wir haben gerade eine herbeigeredete Panikmache wegen der Schweinegrippe. Kommunizieren des Kommunizierens wegen. Das ist Twitter zum größten Teil.

Tweet zur Schweinegrippe

Als ich 2007 mit Twittern angefangen habe, hab ich erst nicht gewusst wie und wozu. Nach einer Woche war dann alles klar. Und seit der Wachstumsmotor angesprungen ist, ist Twitter einfach nur noch Gequatsche ohne Mehrwert, zwar sehr schnell, aber who cares about that? „Um Twitter aber richtig beurteilen zu können, muss man aktiv mitmachen“, schreibt Holger Schmidt. Da hat er sogar recht. Aber wenn man nicht weiß, wer Twitter nützlich verwendet, dann bringt das Mitmachen nichts. Ich kicke regelmäßig Twitter-Spammer aus meiner Followerliste, die nach zwei Tweets bereits 100.000 anderen Nutzern gefollowed sind.

Das machen wirklich sehr viele Nutzer so, weil es gibt ja Charts und so was. Oben mitspielen heißt Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Das ist so, als würde man andere Menschen mit Versprechungen in ein Stadion locken. Das Stadion ist irgendwann voll und die Show fängt an, aber es gibt kein Programm, nichts sinnvolles und selten was unterhaltsames. Genauso nutzen viele Twitter. Und deswegen könnte der Dienst einfach auch diese hohen Absprungraten haben.

Das ist nicht die Schuld von Twitter, das sind die Nutzer. Und jeder twittert weiter vor sich hin, darüber, dass der Hype von Twitter „gefährdet“ ist. Wirklich unterhaltsam. Und die Schweinegrippe gibt es ja auch noch. Und zukünftige Skandale wollen auch noch breit getreten werden. Und wieso hält sich Oprah eigentlich aus allem raus?

ddd

Und was für Nutzer-Loyalität überhaupt?

Nachtrag: Gerade bei Freshzweinull gefunden, ein Blog, das ich wirklich sehr gerne lese:

Real Life Twitter – Absolut großartig.

(5 Bewertung(en), Schnitt: 5,00 von 5)
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9 Reaktionen zu “Die Illusion Twitter”

  1. Ja, und? Hat dieser lange und vor sich wabernde Blogpost auch eine Aussage?

  2. Vielen Dank Sebastian…! Für den Blog-Post wie auch für den Kommentar…!
    Sehr schön! Sehr guter Beitrag!!!

  3. Nein, Frau Langer, hat er nicht. Vielleicht war dieser Blogpost ja einfach auch nur ein Kommentar, der zwischen den Zeilen ein paar Fragen aufgeworfen und ein paar Feststellungen persönlicher Natur getätigt hat. Was jetzt an diesem Beitrag nicht verständlich gewesen sein soll, ist mir ein Rätsel, da ich ich doch einige Dinge richtig festgestellt habe:

    „Als ich 2007 mit Twittern angefangen habe, hab ich erst nicht gewusst wie und wozu. Nach einer Woche war dann alles klar. Und seit der Wachstumsmotor angesprungen ist, ist Twitter einfach nur noch Gequatsche ohne Mehrwert, zwar sehr schnell, aber who cares about that? ”Um Twitter aber richtig beurteilen zu können, muss man aktiv mitmachen”, schreibt Holger Schmidt. Da hat er sogar recht. Aber wenn man nicht weiß, wer Twitter nützlich verwendet, dann bringt das Mitmachen nichts. Ich kicke regelmäßig Twitter-Spammer aus meiner Followerliste, die nach zwei Tweets bereits 100.000 anderen Nutzern gefollowed sind.

    Das machen wirklich sehr viele Nutzer so, weil es gibt ja Charts und so was. Oben mitspielen heißt Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Das ist so, als würde man andere Menschen mit Versprechungen in ein Stadion locken. Das Stadion ist irgendwann voll und die Show fängt an, aber es gibt kein Programm, nichts sinnvolles und selten was unterhaltsames. Genau so nutzen viele Twitter. Und deswegen könnte der Dienst einfach auch diese hohen Absprungraten haben.“

    Ich muss Sie als Journalistin doch sicherlich nicht an die Hand nehmen, oder? Und wenn ich solche Kommentare von Journalisten lese, dann werde ich mehr und mehr ein Fan von Don Alphonso. Falls Sie den kennen…? Sollten Sie zumindest!

    Wie ich sehe, sind Sie freie Journalistin und Mitarbeiterin des medium-magazins. Das Magazin hat in seiner letzten Ausgabe Sascha Lobo zu Mr. Web-2.0 gekürt und ich frage Sie, ob Ihnen bewusst ist, wie er sein Geld verdient, womit, und wie er mit anderen Bloggern umgeht, die er mit ein paar Euros zu billigen Werbezwecken abspeist?

    Da Sie Redaktionsmitglied sind, können Sie mir diese Fragen sicherlich beantworten?!

  4. Hey. Danke für die nette Verlinkung und den wirklich guten Beitrag! Zu jedem Statistik gibt es immer irgendwie auch eine Gegenstatistik. Wir sind inzwischen so weit, die meisten Statistiken zu verjuxen, oder sie zumindest nicht mehr für bare Münze zu nehmen.

    Aber sei so gut und sag mir doch, woher der Twitter-Comic oben stammt und wie du das Video von College Humor so verkleinert hast, dass es in eure Seitenspalte passt. Ich Technikexperte hab das irgendwie nicht geschafft. ;)

  5. @Uwe
    Vielen Dank.

    @Jürgen
    Das mit der baren Münze ist wahr, allerdings ist trotzdem zuviel Tanz um nichts da, du weißt schon :) .

    Das Twittercomic habe ich hier entnommen (hatte ich wohl vergessen anzugeben, peinlich peinlich) und bin durch den Themenblog (lesenswert!!!) darauf aufmerksam geworden. Insbesondere der letzte Beitrag war dort diskussionswürdig. Und das Video habe ich im Backend beim Verfassen des Posts (Editor) einfach anders abgemessen… einfach manuell die breite von 640 auf 445 umgestellt. Gibt ja im Textfenster „Visuell“ und „html“. Ich habe es bei der „html“ geändert.

    Grüße aus Jena

  6. Ich glaube, der wertvollste Tipp ist der, regelmäßig die Follower-Listen durchzugehen. List-Hygiene heißt das klassisch. Dann ist Twitter m.E. schon ein interessantes Tool. Und mein Eindruck ist, dass diejenigen, die seltener und mit Bedacht twittern, wirklich interessante Dinge zu sagen haben.

  7. @Martin
    Ich sehe das ganz genauso. Und danke für den Begriff „List-Hygiene“.

    Aber weil du ihn jetzt laut geäußert hast, können wir nur beten, lieber Martin, dass Burger King diesen tollen Begriff nicht gehört hat. Nicht das die wieder so eine völlig abstoßende Marketing-Kampagne starten wie damals mit Facebook.

  8. Zu zwei Aussagen habe ich Verständnisfragen:

    1. „Und seit der Wachstumsmotor angesprungen ist, ist Twitter einfach nur noch Gequatsche ohne Mehrwert, zwar sehr schnell, aber who cares about that?“

    Ich bin jetzt seit anderthalb Jahren bei Twitter und folge einem langsam wachsenden Kreis von Leuten, die für mich interessante und relevante Informationen veröffentlichen. Viele davon kenne ich persönlich oder lerne sie nach und nach kennen.

    Ob Twitter drumherum wächst und jetzt möglicherweise viele andere Leute für mich Irrelevantes schreiben, hat mich doch gar nicht zu interessieren? Ich verstehe die Logik der Aussage nicht. Ich habe doch jederzeit selbst im Griff, wem ich folge – so wie ich doch auch bei allen anderen Medien bewusst aussuche, was ich konsumiere und was nicht.

    Also kann Twitter vielleicht insgesamt „Gequatsche ohne Mehrwert“ sein, aber wenn die Leute, denen ich folge, nicht die richtigen für mich sind, sollte ich mich vielleicht einfach mal weiter umsehen? Das wäre jedenfalls meine Schlussfolgerung daraus.

    „”Um Twitter aber richtig beurteilen zu können, muss man aktiv mitmachen”, schreibt Holger Schmidt. Da hat er sogar recht. Aber wenn man nicht weiß, wer Twitter nützlich verwendet, dann bringt das Mitmachen nichts.“

    Stimmt. Aber auch hier sehe ich keinen Unterschied zu anderen Medien. Wenn das eine Kritik sein soll, trifft sie jeden anderen Kanal ebenso.

    Wenn ich beispielsweise noch nie zuvor von einem Medium namens „Zeitschrift“ gehört hätte und nun erstmals in einen Bahnhofskiosk käme – was würde mir wohl durch den Kopf gehen? Was ich mit all diesen Papierblättern über Bodybuilding, Gartenpflege, Autotuning oder Segeln soll vielleicht, wo mich das doch alles nicht interessiert. Und wie wenig relevant für den politischen Diskurs das alles ist. Dann schaue ich vielleicht noch weiter und entdecke Spiele-Magazine, Zeitschriften zu Uhren und Pfeifen, die Esoterik-Ecke. Mh. Mir käme der Hype um dieses „Print“ wahrscheinlich sehr überbewertet vor.

    Oder wenn ich das erste Mal mit einem „Telefon“ konfrontiert würde und nun Leute aus diesem „Telefonbuch“ anriefe – würde ich mich dann nicht auch sehr wundern, warum andere Leute das so wichtig und toll finden? Schließlich hätten mir die Leute am anderen Ende der Leitung überhaupt nichts Interessantes mitzuteilen. Und wenn ich die Gespräche anderer Leute belauschte, käme mir das auch alles ziemlich irrelevant für mich vor. Mh.

    Also es ist sicher klar, dass der Hype um Twitter gerade seinen Höhepunkt erreicht und wir uns im „hype cycle“ demnächst ins tiefe Tal der Tränen bewegen werden. Aber die beiden genannten Gegenargumente oder Gedanken zu Twitter kann ich gerade nicht nachvollziehen, würde mich aber über Aufklärung freuen.

  9. @Jan

    Erstmal vielen Dank, für dein ausführliches Kommentar zu diesem Thema.

    Zu deiner ersten Nachfrage („Und seit der Wachstumsmotor angesprungen ist, ist Twitter einfach nur noch Gequatsche ohne Mehrwert, zwar sehr schnell, aber who cares about that?„):
    Du schreibst, dass dich das Umgebene nicht interessiert. Du gehörst damit wahrscheinlich eher zu einem bewusst twitternden Kreis, dem Followerzahlen egal sind und der für spezielle Tipps und Links zu Twitter geht. Oder aber du baust nach und nach, wie du schreibst, einen persönlichen Bezug zu deinen Followern auf, oder andersherum. Gegen dieses Verhalten kann und möchte ich nichts sagen. Denn das ist für mich sinnvoll. Auch wenn du keine Tipps und keine Links dort kriegen würdest, wäre das alles sinnvoll. Twitter ist zum Gequatsche da. Steht sogar auf der Startseite. Ich verstehe den Hype um Twitter sogar sehr gut. Was ich nicht verstehe, ist, weshalb so viele etwas von Twitter erwarten, was nicht der Dienst, sondern anständiges Nutzerverhalten leisten muss?! Das ist immer so: In einem Raum stehen Menschen, mit denen man redet und ganz plötzlich drängeln sich mehr und mehr Leute in diesen Raum, die Twitter einen Nutzen aufdrängeln wollen. Der Konsum, wie du schreibst, ist dann zwar noch mit Hilfe von Filtern… filterbar, aber das drumherum hat sich geändert. Wenn man Twitter so nutzt wie du, mag das nicht viel ausmachen. Das sehen andere jedoch anders. An diese „Anderen“ war der Inhalt meiner von dir zitierten Aussage gerichtet. Wem man followed ist seine eigene Sache. Völlig korrekt. Die Aussage war nicht an einen Twitternutzer, wie du es bist, gerichtet.

    Zur zweiten Nachfrage („Um Twitter aber richtig beurteilen zu können, muss man aktiv mitmachen”, schreibt Holger Schmidt. Da hat er sogar recht. Aber wenn man nicht weiß, wer Twitter nützlich verwendet, dann bringt das Mitmachen nichts.„):
    Ich bin der Meinung, dass du hiermit falsch liegst: „Aber auch hier sehe ich keinen Unterschied zu anderen Medien. Wenn das eine Kritik sein soll, trifft sie jeden anderen Kanal ebenso.“ Oder aber, wir sprechen von zwei verschiedenen Seiten davon. Was du da mit dem Bahnhofskiosk ansprichst ist erstmal ganz richtig, aber du hast den Vergleich zwischen Twitter und der Zeitschrift nicht korrekt übertragen. Die Auswahl an Zeitschriften zum Beispiel. Wenn sich an diesem Kiosk ein paar Hunderttausend Menschen aufhalten und die Zeitschriften zitieren, ohne anderen zuzuhören, dann könnte man die Sache wieder ein bisschen anders sehen. Die Zeitschriften sind an diesem grotesken Phänomen der Aufmerksamkeit in diesem Fall nicht schuld, genauso wenig ist es Twitter, jedoch kann man als Person Nummer 100.001, die frisch in den Tumult am Kiosk gerät den einen oder anderen Gedanken daran verschwenden, ob es wirklich noch um die Inhalte der Zeitschriften geht. Ob wirklich ein geistiger Transfer zwischen Inhalt (Information) und Gefäß (Twitternutzer) stattfindet über diesen Kanal (Twitter). Wenn kaum einer eine Information aufgreift oder hört, dann stellt sich mir die Frage, ob es sich dann überhaupt noch um eine Information handelt.

    Dein Beispiel mit dem Telefon ist technisch für mich auch nicht dasselbe, auch nicht vom Prinzip her. Schlage ich ein Telefonbuch auf, findet kein Transfer zwischen mir und den darin Stehenden statt. Und nicht, weil er das nicht muss, nein, er kann es technisch gar nicht: stattfinden. Und ein Telefonbuch ist in dieser Sache auch kein Kanal, denn der Kanal ist das Telefon. Aber selbst, wenn du Telefon gesagt hättest, so ist die Hemmschwelle, alle Leute anzurufen und mit 20 Wörtern zu „informieren“ wesentlich geringer, als es das bei Twitter ist (Übrigens: ein Twitter-Telefonbuch wäre eine 1-Million-Dollar-Idee).