Virtual Reality: Liebend gerne, aber bitte nicht so [Kommentar]

Grafik:Sergey Galyonkin
Grafik:Sergey Galyonkin

Die diesjährige dmexco hat es noch einmal bestätigt: Virtual Reality wird wohl das nächste große Ding. Das Thema war omnipräsent und wurde hinlänglich diskutiert. Es wurde von einer rosigen Zukunft mit Head-Mounted Displays geträumt. Vermeintliche Anwendungsfälle wurden gezeigt. Die nächste Sau wurde also durchs Dorf gejagt.
 
Auf wichtige Fragen fand die Branche aber auch auf der dmexco keine Antworten. Virtual Reality, E-Commerce, neues Storytelling – irgendwie kriegen wir das schon hin. Das Ziel scheint also klar zu sein, doch verhalten sich die Akteure bisher wie Personen mit einem Head-Mounted Display auf dem Kopf: Orientierungslos und alles was drumherum geschieht, wird ausgeblendet.

Dem Hype entwachsen

Voller Vorfreude ging es Mitte September nach Köln zur BE.INSIDE und anschließend zur dmexco. Programmpunkte waren neben der ständigen Gefahr durch Amazon eben auch die vermeintliche Zukunft durch die virtuelle Realität. So gab Nico Nonne von Trotzkind auf der BE.INSIDE zu, dass das Thema momentan „overhyped“ ist, es aber dennoch Potenzial bietet. Als Entwickler für VR-Anwendungen zeigte der Geschäftsführer von Trotzkind natürlich auch eine Live-Demo, die an sich nicht schlecht aussah, einen wirklichen Use-Case für den E-Commerce aber schuldig blieb.

Auf der dmexco ging es weiter mit der Diskussionsrunde „A (Virtual) Reality for Marketers“. Lisa Donohue (Starcom), Christoffer Nokelby (Mercedes Benz) und Andy Wright (New York Times) sprachen über bereits gemachte VR-Erfahrungen. Beispielsweise über NYT-Stories, die den „Nutzern“ die Welt aus der Sicht eines Flüchtlings darstellt. Nokelby von Mercedes dachte schon einen Schritt weiter als er meinte, dass VR die Unterhaltungssoftware in den autonomen Fahrzeugen der Zukunft sein wird. Darüber, wie sich allerdings das Storytelling verändern müsse oder ob der Nutzer überhaupt aktiv durch VR an einer Story teilnehmen will, wurde nur oberflächlich angeschnitten. Der Tenor: Virtual Reality ist geil!

Aussteller auf der Messe zum Thema VR gab es natürlich auch. So bringen Geräte von Scanblue beispielsweise echte Produkte in die virtuelle Realität. Als Dienstleister helfen sie somit Onlineshops für die „perfekte“ Produktdarstellung. Alles etwas haklig und verpixelt, macht ja nichts, VR steckt ja noch in den Kinderschuhen.

Die BE.INSIDE und die dmexco waren tolle Events – keine Frage. Das persönliche Fazit über VR im E-Commerce fiel allerdings sehr enttäuschend aus. Warum tut man sich so schwer das Thema gleich richtig anzugehen und fängt bei Null an, obwohl andere Branchen im Bereich VR schon so viel weiter sind? Und die wohl wichtigste Frage: Wird die Zukunft so aussehen, wie es auf der größten Fachmesse für die Branche dargestellt wird?

Die richtigen Fragen stellen

Nüchtern betrachtet und fernab vom Hype gibt es dementsprechend Probleme, die bisher selten angesprochen werden und deren Fragestellungen nur zu selten im Raum stehen:

    • Storytelling: Interaktive Geschichten sind um einiges komplexer als lineare. Soll der Nutzer selbst entscheiden wie und wann es wohin geht, muss es verschiedene Auswahlmöglichkeiten mit dementsprechenden Fortsetzungen geben. Des Weiteren muss man sich das Konsumverhalten in den Kopf rufen: Lineare Geschichten haben einen Sinn. Regisseure, Content-Creator etc. geben dem Nutzer vor, was er wie sehen soll. Will diese Arbeit der Kunde in Zukunft tatsächlich selbst übernehmen? Denn nichts anderes impliziert das Storytelling in der VR: Sei dein eigener Regisseur. Das Konsumverhalten von Medien müsste sich also gleichzeitig von „sich berieseln lassen“ hin zu „aktiv gestalten“ verändern. Schwierig!
    • Technische Umsetzung: Die größte Enttäuschung auf der dmexco war die Umsetzung von VR-Anwendungen. Will ich als Kunde in Zukunft wirklich zwei Controller in der Hand halten um Produkte hakelig durch die Gegend zu tragen? Wenn VR auch im E-Commerce das nächste Ding sein soll, wieso nimmt man sich nicht an den bisher treibenden Kräften ein Beispiel: Der Gaming- und Pornoindustrie. Der Entwickler CCP lässt Spieler ein Raumschiff durch eine imposante Galaxis fliegen, während Entwickler für Anwendungen im E-Commerce verpixelte Schuhe von A nach B tragen lassen. Immersion scheint daher noch ein Fremdwort zu sein.

 

  • Virtual oder Augmented: Zu guter Letzt muss man sich fragen, ob Virtual Reality überhaupt Anwendungsfälle für den E-Commerce bereithält. Ist es nicht wahrscheinlicher, dass Kunden mit Hilfe einer Augmented-Reality-Brille Zusatzinformationen im stationären Laden erhalten als sich Zuhause die teure Oculus Rift aufzusetzen um dann den virtuellen Shop zu besuchen? Was ist mit der Abschottung des Kunden bei der Nutzung eines Head-Mounted Displays?

 

Vielleicht ist die dmexco die falsche Veranstaltung gewesen, um auf solche Fragen eine Antwort zu bekommen. Das wäre nicht schlimm, wären die Fragen überhaupt gestellt worden. Die VR-Technologie bietet für den Onlinehandel viel Potenzial, doch scheinbar weiß noch niemand wofür. Falls man das Thema VR ernsthaft angehen möchte, sollten die genannten Probleme Teil der VR-Strategie sein, die es zu entwickelt gilt. VR bietet übrigens noch viel mehr Zündstoff: Sei es oftmals die fehlende soziale Komponente oder die Einhaltung sozialer Normen innerhalb virtueller Räume.

Zugegeben, VR ist noch Neuland. Viele der hier gestellten Fragen lassen sich im Moment noch gar nicht beantworten. Handelskraft wird das Thema weiterhin auf dem Schirm haben: Sei es aus der Sicht von Onlinehändlern mit dem Fokus auf Use-Cases, den gesellschaftlichen Änderungen durch diese neue Art der Interaktion oder der technischen Umsetzung virtueller Räume allgemein. Denn eins ist trotz aller Skepsis, Probleme und Unklarheiten sicher: Virtual Reality ist ein Hype, der sich dennoch in einer noch nicht ersichtlichen Form manifestieren wird!

Die Trends von 2016

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Eine Reaktion zu “Virtual Reality: Liebend gerne, aber bitte nicht so [Kommentar]”

  1. VR… sehr spannendes Thema, bei dem viele Leute noch nicht so richtig wissen, was sie davon halten sollen.

    Wer nicht risikoavers ist, sollte jetzt auf VR setzen und auf AR. Denn jezt werden die Weichen gestellt für die nächsten 10 Jahre, und entsprechend gibt es sehr viele Chancen.