Viv – kann Sprachassistenz den Handel revolutionieren?

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Quelle: wareable.com
Mit Sätzen wie „Überweise Adam 20 Dollar.“ und „Sende meiner Mutter Blumen zum Geburtstag.“ hat Dag Kittlaus am vergangenen Montag die Digitalbranche aufgewühlt. Im Rahmen seiner Viv-Live-Demo während der Disrupt NY, zeigte er, was Conversational Commerce in Zukunft bedeutet. Moment: Dag wer? Viv was? Conversational wie? Das sind berechtigte Fragen. Doch, noch wichtiger ist: Was bringt der KI-Assistent für Hersteller und Onlinehändler?

KI-Assistent Viv – große Namen und große Ambitionen

2007 gründete Dag Kittlaus Siri Inc. gemeinsam mit Adam Cheyer, Tom Gruber und Norman Winarsky. Ja, genau jenes Siri, das seit 2010 Apple gehört und Nutzern erstmalig 2011 im iPhone 4s seine Assistenz anbot. Seit dem Siri-Exit arbeiten Kittlaus und Cheyer zusammen mit Chris Brigham an Viv. Unter dem Motto >>Viv, the global brain<< wollen die Herren aus San Jose nicht weniger als dem Nutzer unbegrenztes Wissen zur Verfügung zu stellen. Was unterscheidet Viv von Sprachassistenten wie Siri, Alexa, Cortana und Google Voice? Zurzeit antwortet Viv, im Gegensatz zur Konkurrenz, nur in Text und Bildern. Eine Sprachausgabe soll folgen. Der wichtigere Unterschied ist allerdings, dass Viv nicht auf spezielle Hardware - Smartphones, Wearables, smart Home devices – und auch nicht auf spezielle Funktionen begrenzt ist. Wo die Konkurrenz Antworten fest im Code verankert, setzt Viv auf semantische, kontextbezogene Spracherkennung, automatische Programmierung und Maschinenlernen. Was nach Science-Fiction klingt, funktioniert in der Realität schon recht gut und führt beispielsweise dazu, dass Viv auf die Aussage „Ich bin betrunken.“ mit der Bestellung eines Taxis nach Hause antwortet.

Conversational Commerce mit Viv

Die während der Disrupt NY von Dag Kittlaus gezeigten Viv-Szenarien fokussierten, bis auf sein Wetterbeispiel, allesamt auf Käufe. Das Begleichen der Bier-Schulden bei Adam, die Pizza von Alfredo, die Hotelbuchung – inklusive Bestellabbruch – und die Blumen für die Mutter. Viv unterstützt den Nutzer bei Fragen und Anweisungen. Beide Varianten können eine rein informative sowie eine kaufinteressierte Ausprägung besitzen.

  • Frage ohne Kaufinteresse: Wie wird / war das Wetter in? Wer gewann / verlor 2015 das Champions-League Finale?
  • Anweisung ohne Kaufinteresse: Schalte die Lichter am Haus an / aus. Spiel alle Songs deutscher Eurovision Song Contest Gewinner im Wohnzimmer.
  • Frage mit Kaufinteresse: Welche Pizzeria liefert jetzt noch? Wo bekomme ich zurzeit weiße Adidas Samba Sneaker in Größe UK 13 am günstigsten? Was kosten circa drei Meter breite Ledersofas?
  • Anweisung mit Kaufinteresse: Bestell mir ein Taxi nach Hause. Sende meiner Mutter Blumen zum Geburtstag. Bestell zwei Kisten Saft für den Kindergeburtstag am Wochenende.

Für jede der vier Varianten gilt: Viv muss unglaublich viel wissen (dürfen) und verstehen. Für Hersteller und Händler sind die Beispiele mit Kaufinteresse interessant.

Viv – Utopie vs. Dystopie für Händler

Global Brain ist bei Viv nicht nur Anspruch, sondern Programmierstil
Global Brain ist bei Viv nicht nur Anspruch, sondern Programmierstil
Da Viv keine festen Antworten einprogrammiert sind, verfolgt die Entwicklung einen Plattform-Ansatz. Das bedeutet, das Viv als ergänzendes Tool während der Customer-Journey genutzt werden kann. Ähnlich wie bei ChatBots kann Viv den Kundenservice und die Beratung verbessern. Das gilt gleichermaßen für B2C- und B2B-Szenarien. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass über die gesamte Prozesskette möglichst viele Prozesse automatisiert sind und Informationen hochwertig und konsistent vorliegen. Darin liegt die größte Herausforderung für Händler, die beispielsweise kaufinteressierte Anfragen wie: „Zeige alle Oberteile, die diesen Herbst zu dunklen Jeans passen.“ beantworten wollen.

Der Zwang zur Datenaufbereitung zeigt sich auch bei längerem Gespräch: „Suche leichtes Zelt für drei Personen.“ Hier fliegen alle Händler aus den Ergebnissen, die kein Produktgewicht hinterlegt haben. Nun mag ein Kunde eventuell drei Zelte zu Hause ausprobieren, wenn die Retoure kostenlos ist. Andererseits ist das Paket sicher sperrig, sodass ein Showroom besser wäre. Es spricht der Kunde: A) Zeige nur Ergebnisse mit kostenloser Retoure. B) Welche Zelte kann ich in der Nähe ausprobieren? Hier verlieren alle Händler mit intransparenten Versandbedingungen oder jene, die on- und offline nicht verknüpfen. Soweit zur Utopie.

Die dystopische Variante von Viv stellt vor Allem die Marketing-Abteilungen der Händler und Hersteller vor große Herausforderungen. Sprechen ist eben nicht Tippen, was große Auswirkungen auf Suchmaschinen-Optimierung hat. Ebenfalls unklar ist, wie man Teil einer eventuellen Viv-Plattform wird. Sollte sich kontextbezogene Sprachassistenz bei Nutzern durchsetzen, gleichzeitig aber nur Player wie Uber, Zalando, Amazon und Lieferheld angeschlossen werden, wird es für die Nischen-Player schwierig. Doch selbst, wenn jeder mitspielen darf, müssen Anbieter ihre Kunden besser kennen, als je zuvor, um ein funktionierendes Targeting gewährleisten zu können. Wenn Viv gelernt hat, dass der Nutzer beispielsweise regionales Bio-Fleisch bevorzugt, wird Viv dementsprechend angepasste Ergebnisse auf die Aussage „Kaufe 2,5kg Rinderlende für das Wochenende.“ liefern.

Schweigen ist Silber – Reden ist Commerce

Viv könnte der nächste große Wurf in Sachen human-computer-interaction werden. Wenn Nutzern bewusst wird, welchen Grad an Bequemlichkeit sie erreichen können, wenn ein Sprachassistent den persönlichen Kontext versteht, wird Contextual-Conversational-Commerce den digitalen Handel massiv verändern. In erster Linie wird er intransparente und inkonsistente Händler und Hersteller bestrafen. Wenn Viv keine direkte Antwort auf die Frage: „Wo ist mein Paket?“ hat, wiegt das schwerer, als die verdeckte interne Recherche, deren Ergebnis man Händler nach drei bis sechs Stunden via Support-E-Mail beantworten.

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