No Deal! Welche Folgen hat der Brexit für den Onlinehandel?

Brexit
Quelle: pixabay

Der 30. März 2019 wird in die Geschichte eingehen: Erstmals wächst die Europäische Union nicht mehr, sondern sie verliert an diesem Tag eines ihrer 28 Mitglieder. Gemäß Artikel 50 des EU-Vertrags veranlasste die britische Premierministerin Theresa May den Austrittsprozess, nachdem im Sommer 2016 knapp 52 Prozent der Bürger des Vereinigten Königreichs für den Austritt gestimmt haben. Das jahrelang verhandelte Austrittsabkommen zwischen der EU und Großbritannien scheiterte vor dem britischen Unterhaus. Die Konsequenz ist ein sogenannter harter Brexit, ohne verbindliche Regelungen zwischen den beiden Parteien. Welche Folgen hat das nach derzeitigem Wissensstand für den internationalen Onlinehandel? Droht das Riesen-Chaos beim Online-Shopping?

Das Paradies für Händler: Die Europäische Union

Die europäische Staatengemeinschaft arbeitet an gemeinsamen Zielen, um Frieden und Sicherheit für die Menschen in Europa zu gewährleisten. Neben Gesetzen zur Abschaffung der Roaming-Gebühren im Mobilfunk, verdanken wir der EU vor allem offene Grenzen innerhalb Europas. Davon profitieren wir persönlich, indem wir Grenzen ohne Kontrollen überqueren können.

Aber auch der Handel funktioniert dank des Europäischen Binnenmarkts ohne jegliche Grenzen. Wir Konsumenten profitieren davon, da wir Preise in der kompletten EU vergleichen und beim günstigsten Anbieter bestellen können, ohne, dass dieser zwingend aus einem der 23 Länder mit der gemeinsamen Eurowährung sein muss. Entsprechend ist Großbritannien nach China das zweitbeliebteste Land, in dem deutsche Kunden online einkaufen.

Großbritannien und der EU-Binnenmarkt

Laut E-Shopper Barometer des Paketdienstleisters DPD vertrauen immer mehr EU-Bürger internationalen Webshops. Im Jahr 2017 kauften 54 Prozent aller Online-Shopper mindestens einmal auf einer grenzüberschreitenden Webseite. 67 Prozent befinden sich davon innerhalb Europas. Und welches ist bis dato das beliebteste europäische Land unter den internationalen Einkäufern? Richtig! Großbritannien! Fast ein Drittel aller Warenkörbe, die ein EU-Bürger international bestellt, kommen aus dem Vereinigten Königreich.

Nach einem Brexit ohne Austrittsabkommen gehen alle Vorteile des EU-Binnenmarktes für das Vereinigte Königreich verloren. Dem freien Handel innerhalb der EU folgen scharfe Grenzkontrollen und Zölle auf beiden Seiten, aber auch längere Paketlaufzeiten.

Kunden aus der EU werden sich also künftig genau überlegen, ob sie Mehrkosten und längere Wartezeiten in Kauf nehmen. Man vergleiche etwa die gegenwärtigen Lieferzeiten eines versicherten DHL-Pakets aus Großbritannien mit denen aus Norwegen: Aus dem skandinavischen Nicht-EU-Land dauert es mit durchschnittlich 7,5 Werktagen satte 250 Prozent länger als aus Großbritannien. Auch ist ein solches Paket praktisch standardmäßig doppelt so teuer, selbst wenn Gewerbetreibende eigene Verträge mit Versanddienstleistern abschließen.

Insgesamt hat der britische Online-Handel seit der Abstimmung im Jahre 2016 mit dem drohenden Brexit zu kämpfen. So wies Andy Mulcahy, Strategie-Direktor beim Verband der britischen Online-Händler IMRG, jüngst im Guardian darauf hin, dass sich Händler im Angesicht des Brexits bereits in eine regelrechte Rabatt-Spirale manövriert und so das Vertrauen der Kunden verspielt hätten.

Kommt es zu einem harten, sprich vollkommen vertragslosen Brexit, sehen gerade viele mittelständische, britische Online-Händler, die auch international versenden, derzeit nur eine Lösung: Sie planen, mit ihrem Business teilweise auszuwandern – nach Deutschland. So wie Shaun Loughlin vom Sportswear-Versandhandel Freestyle Extreme aus Bristol, der bereits seit Jahren eine deutsche Version seiner Website betreibt.

Die größte Volkswirtschaft Europas ist bei britischen Investoren für Zweigniederlassungen so beliebt wie kein anderes Land: Bereits im Geschäftsjahr 2017 siedelten sich 152 Firmen aus dem Vereinigten Königreich in Deutschland an. Damit wird nicht nur die Konkurrenz innerhalb Deutschlands härter. Auch das Ziel der Dependencen ist klar: Ein erleichterter Zugang zum europäischen Markt.

Auch die Menschen in Großbritannien kaufen gern in internationalen Shops ein. 28 Prozent aller Briten haben laut statista 2018 online in einem anderen EU-Staat privat eingekauft. Die beliebteste europäische Handelsbeziehung führt Großbritannien dabei mit Deutschland. Insgesamt wurden Waren im Wert von 65,761 Millionen GBP in das Vereinigte Königreich aus Deutschland importiert. Spitzenreiter!

Die Wiederkehr der Zollschranken

Aber was bedeutet ein harter Brexit für die Zölle beim Export in die EU oder Importe aus der EU? Die deutsche Zollbehörde betont, dass ohne privilegierte Partnerschaft oder Freihandelsabkommen für den Warenverkehr mit Großbritannien die allgemeinen zollrechtlichen Bestimmungen gelten.

Wie diese aussehen, schauen wir uns mal am Beispiel von in den USA bestellten Klamotten oder eines direkt aus China georderten Foto-Objektivs an. Übersteigt der Inhalt beider Pakete den Wert von 150 Euro, passiert folgendes: Es wird teuer.

Für Textilien muss man Zoll in Höhe von zwölf Prozent des Warenwertes zahlen, für das Objektiv kommen 6,7 Prozent des Preises hinzu. Zusätzlich muss man Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von 19 Prozent entrichten – eine Abgabe, die bereits ab 22 Euro Warenwert fällig wird, selbst wenn es dann keinen Zoll kostet.

Die Sache ist also ganz schön kompliziert und mit Wartezeiten im örtlichen Zollamt verbunden, wenn man sein Paket persönlich abholen muss. Und natürlich erwartet britische Kunden bald eine ähnliche Prozedur, wenn sie etwas in der EU bestellen.

Wie die britische Wirtschaft leidet

Die unsichere Zukunft macht den Finanzmarkt in Großbritannien schon länger nervös und das Pfund gegenüber dem Dollar nach dem Brexit-Referendum stark.

Mehr noch: Viele Unternehmen im Internethandel benutzen Software aus den USA. Ganze E-Commerce-Plattformen, Hosting-Anbieter oder andere Technologien stammen meist aus Übersee. Diese sind des Öfteren an einen Dollar-Preis geknüpft. Der gestiegene Dollar-Preis je Pfund macht die Software-Nutzung zu einer immer teureren Angelegenheit.

Und was passiert eigentlich mit der DSGVO und der abtrünnigen Insel? Nach einem harten Brexit wird Großbritannien in der Verordnung als sogenanntes »unsicheres Drittland« eingestuft. Die Übermittlung persönlicher Daten über die EU-Grenzen hinaus wäre dann laut Artikel 40 bis 50 der DSGVO erst einmal passé.

Die EU und Großbritannien könnten peu à peu über ein zukünftiges Freihandelsabkommen Regeln zur Datenübermittlung vereinbaren und den Datenschutz sichern. Auch die USA und die EU haben mit dem EU-US Privacy Shield bereits ein solches Abkommen unterzeichnet.

Gelingt nach dem Brexit kein Abkommen, könnten zumindest einzelne Unternehmen nach Artikel 46 der DSGVO durch »geeignete Garantien« den entsprechenden Datenschutz nachweisen und so personenbezogene Daten aus der EU erhalten.

Versand, Zoll, DSGVO – die Veränderungen für den Online-Handel im Falle eines harten Brexits sind enorm. Durch höhere Handelskosten, weniger Exporte in die EU und zurückgehende Direktinvestitionen nach Großbritannien wird die Wirtschaft auf der Insel gebremst, selbst wenn die Konkurrenz aus der EU wegfällt.

Der Wirtschaftsprofessor Bernard Fingleton hat dazu geforscht, was ein reduziertes Handelsvolumen zwischen der EU und Großbritannien für den britischen Arbeitsmarkt bedeutet: Selbst, wenn es nach dem Brexit um nur zwei Prozent sinkt, fielen bis zum Jahr 2025 allein in London 66.500 Jobs weg.

Brexit mit geregeltem Abkommen

Wenn sich die britische Regierung und die EU wider Erwarten doch noch auf ein Austrittsabkommen einigen, können Unternehmen und bestellfreudige Online-Shopper vorerst durchatmen. Eine Übergangsperiode von zwei weiteren Jahren würde die Freizügigkeit des Handels weiter garantieren und Waren, die über die EU-Grenze gehen, nicht mit Zöllen belasten. Bis 2020 bliebe erst einmal alles beim Alten. Das brächte Online-Händlern wie Bürgern vor allem eines: Zeit, sich auf den Austritt Großbritanniens besser vorbereiten zu können.

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4 Reaktionen zu “No Deal! Welche Folgen hat der Brexit für den Onlinehandel?”

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