Edward Snowdens Memoiren: Whistleblowing meets innovatives Verlags-Marketing

Snowdens Memoiren erscheinen nächtes Jahr
Quelle: pexels

Am 1. August 2019 setzte irgendwo in Russland jemand einen Tweet ab: »So I just completed an international conspiracy across twenty countries, and somehow the secret never leaked. On Constitution Day, the result will be on shelves worldwide.«

Dieser jemand, der da sein Buch namens »Permanent Record« ankündigt, ist Edward Snowden. Der einstige US-Geheimdienstmitarbeiter und spätere Whistleblower lebt nicht ganz freiwillig in Russland – und wo genau er sich im flächenmäßig größten Land der Erde aufhält, ist aus bekannten Gründen ungewiss.

Gegen den heute 36-Jährigen liegt in den USA Haftbefehl wegen Spionage vor. Vor sechs Jahren hatte Snowden dem renommierten US-Journalisten Glenn Greenwald und einem Team des britischen Guardian brisante Dokumente zugespielt, die die Dimension der Überwachung durch den US-Geheimdienst NSA öffentlich machten.

Seither ist viel passiert – oder vielleicht ist seither auch nicht so viel passiert.

Edward Snowdens Memoiren: Überwachung voranbringen, Überwachung publik machen

Es scheint, als seien die Massenüberwachungspläne der NSA nach der globalen Empörung offiziell ins Stocken geraten. Wir alle überkleben die Kameras unserer Rechner und manchmal auch die der Selfie-Cams unserer Smartphones. Wir kennen jetzt Begriffe wie »Proxy Server«, »VPN« oder »Darknet«, wir haben uns auch mit der DSGVO beschäftigt.

Intime Gedanken aber übermitteln die meisten von uns trotzdem permanent via Facebook und WhatsApp statt verschlüsselt über Signal oder Threema. Wir schreiben und erhalten E-Mails mit interessanten beruflichen Inhalten unverschlüsselt statt solche mit GnuPG. Wir ordern von Snowdens Memoiren über neue Sneaker bis zu Aspirintabletten alles bei Amazon, weil DHL dann wenigstens verlässlich schnell zustellt.

Kurzum, rein technisch gesehen ist es auch sechs Jahre nach Snowdens Enthüllungen für Konzerne und Geheimdienste ein Leichtes, das Privat- und Berufsleben, den Gesundheitszustand und das Kaufverhalten von Milliarden Menschen in Datensätzen nachzuvollziehen.

Und dass nach wie vor kein EU-Land mutig genug ist, einem Aktivisten wie Snowden Schutz zu bieten, nannte die Süddeutsche Zeitung neulich keinen Skandal, sondern die »Veralltäglichung des wirklich Skandalösen«.

Edward Snowdens Memoiren: Eine bemerkenswerte Marketingkampagne

Das interessante an den nun erscheinenden Snowden-Memoiren aber ist nicht nur ihr sicher brisanter Inhalt. Auch die Marketingstrategie hinter der Veröffentlichung ist bemerkenswert. Normalerweise erhalten Journalisten Vorabdrucke, sogenannte Fahnen, von den Verlagen. Diese sind mit einer Sperrfrist belegt, die mal die eine, mal die andere große Medienplattform reißt, sprich: etwas früher berichtet oder gar einen Auszug früher bringt als die Konkurrenz. Das ist nichts Neues mehr. Bei Snowdens Memoiren aber ist das anders.

Diesmal scheint es ernst mit der Sperrfrist: Constitutional Day, der 17. September. Denn am 17. September 1787 wurde die US-Verfassung verabschiedet. Wie in Deutschland der 23. Mai (1949 wurde an diesem Tag das Grundgesetz fertig) ist der Tag zwar von historischer Bedeutung, ein offizieller Feiertag aber ist er nicht. Und so sind die Buchläden geöffnet, können Online-Bestellungen ausgeliefert werden und E-Books kann man sowieso immer downloaden. Snowden und sein Verlag wollen mit dem Veröffentlichungstermin also vor allem ein politisches Zeichen setzen – pro Demokratie.

Doch noch etwas ist an dieser Marketing-Kampagne bemerkenswert: Normalerweise erscheint ein Buch zunächst in einer Sprache. Dann wird es in immer mehr Sprachen übersetzt. Snowdens Memoiren aber erscheinen global am selben Tag in 20 verschiedenen Sprachen – denn für dieses Buch haben sich, neben dem Hauptverlag Macmillian im englischsprachigen Raum, weltweit renommierte Verlage zusammengeschlossen. In Deutschland erscheint das Buch im Fischer Verlag, in Frankreich hat sich Seuil die Rechte gesichert.

Edward Snowdens Memoiren: Enthüllungen treffen Experience

Snowden mag die datengetriebene, digitalisierte Welt der Gegenwart kritisch sehen. Aber er und das Verleger-Team hinter ihm haben verstanden, wie diese heutige Welt funktioniert und sie wissen, dies zu nutzen. Kunden wollen »unique experiences« – eine kritische Lektüre am selben Tag in 20 Sprachen gleichzeitig als global konzertierte Kampagne über alle Kanäle hinweg zu veröffentlichen, das ist Digital Experience in Bestform.

Noch mehr Inspiration fällig, um als Verlag, Händler oder Hersteller mit intelligenten Digitalstrategien erfolgreich zu sein? Wir haben auch ein Buch geschrieben – nicht enthüllend, aber recht nützlich im alltäglichen Digital-Dschungel. Unser Trendbuch lässt sich hier kostenlos herunterladen oder als gedruckte Ausgabe bestellen.

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