Ist die Zeit des klassischen Onlineshops schon wieder vorbei? [Kommentar]

Grafik:TheMuuj
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Die Zweifel daran, ob die Zeiten des klassischen Onlineshops vorbei sind, basieren mitnichten auf neuen, revolutionären Erkenntnissen. Schon zu Zeiten des „Social Commerce“-Hypes war die Unsicherheit über den Online-Verkauf auf gesonderten Websites zu spüren. Und das soll jetzt wieder so sein? Kann man nicht einfach mal die Sache auf sich beruhen lassen und nicht schon wieder eine neue Sau durch das Dorf jagen?
 
Nein! Denn gerade die Digitalbranche lebt von Innovationen und – bitte festhalten – stellenweise errichteten Luftschlössern. Für eine Arroganz nicht digitalisierten Unternehmen gegenüber bleibt kein Platz, da man selbst als Digital Native stets up to date bleiben muss und die Augen keinesfalls vor scheinbar noch so abstrusen Erfindungen verschließen darf. Die Frage nach dem Haltbarkeitsdatum klassischer Onlineshops ist somit keine Frage aus dem bloßen Zweck der puren Weiterentwicklung heraus, sondern die erste Zerreißprobe für die ach so digitalisierte Generation Y, die sich in unbekannte Gefilde wagen muss um die eigene Adaptionsfähigkeit an (noch) neuer Technologie zu testen.

Die Customer Journey

Überlegungen in diese Richtung basieren auf der Dynamik der Customer Journey. Technische Innovationen verändern diese: Ist man (ganz) früher mit dem Holzkorb auf den Wochenmarkt gepilgert, bestellt man heute seine Lebensmittel online. Der Nutzer macht dabei ganz andere Erfahrungen und hat auch ganz andere Anforderungen an den Kaufprozess allgemein. Das macht den Wechsel zwischen den Customer Journeys über die Generationen hinweg kompliziert, da neue Prozesse natürlich immer auch eine gewisse Menge an positiver Eigeninitiative erfordern um erfolgreich adaptiert zu werden.

Und so ist die Customer Journey viel mehr als nur die bloße Reise einzelner Zielgruppen durch den kompletten Kaufprozess. Sie spiegelt auch immer die aktuellen Vorlieben der jeweiligen Generation wider. Betrachtet man aktuelle Customer Journeys von Onlinekunden, wird schnell klar, dass Idealtypen von Zielgruppen à la „digital versierter Mittdreißiger (also Generation Y)“ nicht in ihrer Reinform existieren. Dennoch lassen sich schnell Tendenzen ableiten, dessen Gegner man in der Argumentation darüber, ob tatsächlich generationspezifische Customer Journeys existieren oder nicht, schnell mit dem Verweis auf etwaige, mittlerweile insolvente Kataloghändler davon überzeugen kann.

Ist die weitere Existenz des Onlineshops also an die Vorlieben hinsichtlich der Customer Journey der nächsten Generation (Z) abhängig?

Was sind die Alternativen?

Die Vorhersage über Änderungen der Customer Journey gleicht der Frage nach dem Ei und dem Huhn: Ändert sich die Kundenreise auf Wunsch der Kunden hin oder wird das Kundenverhalten durch das „Aufzwingen“ neuer Technologie beeinflusst? Beides stimmt wohl. Die Optimierung des Privatlebens macht die Tür auf für diverse Tech-Firmen… und voilà, der Dash-Button von Amazon klebt an der Waschmaschine, da die Befriedigung des Bedürfnisses nach Waschmittel so direkt und ohne Umwege vollzogen werden kann – ja, das Smartphone aus der Hosentasche ziehen, die Amazon-App öffnen, die Suche nach dem Waschmittel und der Checkout werden unter dieser Prämisse durchaus als Umwege betrachtet.

Es gibt natürlich eine Vielzahl weiterer technischer Möglichkeiten, die den Aufwand während der Customer Journey auf ein Minimum zu reduzieren. Nachteile? Klar, die gibt es auch, wie beispielsweise die völlige Abhängigkeit gegenüber eines Anbieters – Bequemlichkeit kostet halt. Aber auch das ist subjektiv und Teil der Wertvorstellung einer bestimmten Generation beziehungsweise Bevölkerungsgruppe, ob und wie negativ solch eine Abhängigkeit wirklich ist beziehungsweise wie sie letzten Endes in der Realität wahrgenommen wird.

Abhängig von der Veränderung der Customer Journey, lassen sich somit momentan drei Stoßrichtungen beobachten:

Virtuelle Realität
Der Kauf von Produkten über die virtuelle Realität kommt einer tatsächlichen Weiterentwicklung der Customer Journey wie wir sie heute kennen am nähesten. Ob nun über ein Head-Mounted-Display oder über Augmented-Reality-Brillen: Das Erlebnis des Einkaufsprozesses versucht sich – so paradox das klingt – wieder auf die Ursprünge zu beziehen. Nur passiert dies eben nicht in einem materiellen Umfeld mit tatsächlichen Gegenständen, sondern in einer von Computer generierten Umwelt. Dabei gibt es aber immer noch eine grafische Oberfläche, die der Nutzer während der Customer Journey nutzt.

Grafik: Statista
Grafik: Statista

Der Einkauf via Sprache
Dass der hauseigene HAL 9000 nicht mehr nur ein Hirngespinst ist, zeigen Google, Apple oder Amazon mittlerweile schon eindrucksvoll. Damit geht das Verschwinden einer grafischen Oberfläche einher, die von der „Sprache“ einer künstlichen Intelligenz ersetzt werden würde, wie es heute schon in stark „Smart Home“-getriebenen Haushalten der Fall ist. Die Bedeutung des klassischen Onlineshops, wie er heutzutage existiert, würde enorm sinken. Eine Oberfläche wäre, wenn überhaupt, lediglich zur Kontrolle der getätigten Spracheingaben von Nöten.

Kundenbedürfnisse vorhersagen
Die dritte Stoßrichtung mag zwar äußerst futuristisch klingen, ist sie doch durchaus vorstellbar und unabhängig von spezifischen „Endgeräten“. Für das Konzept der Vorhersage von Bedürfnissen bedarf es den gläsernen Kunden. Anders als im bereits genannten Beispiel mit der Bestellung von Waschmittel über einen Dash-Button, wird das Waschmittel bei einer Vorhersage automatisiert bestellt, da ein System über den Verbrauch des Kunden über so detaillierte Informationen verfügt, dass eine Eingabe des Nutzers unnötig wird. Eine richtige Customer Journey gäbe es bei diesem Szenario nicht mehr.

Zukunftsmusik?

Jede dieser Stoßrichtungen birgt natürlich Unmengen an Vor- und Nachteilen. Sei es die zu starke Immersion in der virtuellen Welt oder die Vorstellung darüber, dass ein Konzern Wissen darüber hat, wann das Klopapier im eigenen Badezimmer zur Neige geht. Auch ist es unwahrscheinlich, dass sich einer dieser Bereich alleinig behauptet. Eine Verschmelzung von Sprachsteuerung, Virtual Reality und „Prediction“ ist am wahrscheinlichsten.

Hier genannte Technologien im Gartner Hype Cycle 2016
Hier genannte Technologien im Gartner Hype Cycle 2016

Und obwohl die Bereiche nicht unterschiedlicher sein könnten, gibt es doch eine Verbindung: Die grafische Oberfläche, wie sie ein Onlineshop besitzt, wird an Bedeutung verlieren, sollten sich diese noch momentan als „Trends“ bezeichneten Entwicklungen durchsetzen.

Die Customer Journey im Blick behalten

Solange man seine Kunden kennt, braucht man sich allerdings keine Sorgen zu machen. Vor allem im B2B-Bereich ist der Onlinehandel beispielsweise noch in den Kinderschuhen und es kommt „jetzt erst“ zu Tests verschiedener Modelle für die Digitalisierung von Vertrieb und Marketing – mal mehr, mal weniger erfolgreich.

Und auch im B2C ist man noch lange nicht soweit sich vom Onlineshop zu verabschieden. Wobei hier aber schon zu sehen ist, dass ein schlichter Shop an sich nicht mehr ausreicht, sondern dieser mit einer auf den Kundenbedürfnissen basierenden Digitalstrategie entwickelt werden muss, beispielsweise in Richtung Cross- oder Multi-Channel. E-Commerce-, CRM-, PIM- und CMS-Systeme wird es übrigens auch weiterhin geben. Sei es für die Abwicklung hinter der virtuellen Ladentheke oder aber als Datenlieferant, welcher der Künstlichen Intelligenz die richtigen Daten zum passenden Zeitpunkt zur Verfügung stellt.

Neben der tatsächlichen Veränderung der Customer Journey wird vor allem auch die eingangs erwähnte Adaptionsfähigkeit der noch Digital Natives für Spannungen sorgen. Dann wird sich auch im digitalen Umfeld zeigen, ob „früher alles besser war„.

Wie Matrix, nur in schön

handelskraft2017-trendbuch-coverWährend die Generation Y noch mit der kompletten Sprachsteuerung hadert, wird Generation Z sicherlich vollends in die virtuelle Realität eingetaucht sein und unterhaltsamen Smalltalk mit Alexa, Siri und Co. führen. So oder so ähnlich. Wie hier genannte und noch weitere Trends den Onlinehandel jedoch schon heute beeinflussen, findet sich in unserem neuesten Handelskraft Trendbuch „Von Menschen und Maschinen“ – hier kostenlos downloaden!

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