Ukraine-Krise betrifft auch den Onlinehandel: Wie Unternehmen jetzt standhaft bleiben [Interview mit dem bevh]

Ukraine-Krise_Interview_BEVH_Albenhausen
Martin Groß-Albenhausen im Interview

Die Entwicklungen im E-Commerce in Folge der Ukraine-Krise sind eindeutig uneindeutig. Wie auch, wenn mit dem vermeintlichen »Ende« der Pandemie und dem Angriffskrieg in der Ukraine zwei Ereignisse aufeinandertreffen, die unsere Gesellschaft und somit den gesamten Onlinehandel aus dem Gleichgewicht bringen. Wie die Entwicklungen tatsächlich aussehen, woran das liegt und was das für das E-Business bedeutet, hat mir Martin Groß-Albenhausen, Stellvertretender Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland e.V. (bevh) im Gespräch geschildert.

Ukraine-Krise: Die Folgen für den Onlinehandel

Martin, die Corona-Krise hat insbesondere 2020 dem Onlinehandel zusätzliches Wachstum beschert. Wie verhält es sich deiner Meinung nach mit der Ukraine-Krise? Ist sie Konsum-Treiber oder -Bremse?

Tatsächlich kann man das noch überhaupt nicht sagen. Da im zweiten Coronajahr ein starker Trend Richtung Onlinehandel da war, konnten wir zu Jahresbeginn ein hohes Umsatzwachstum beobachten. Durch den Kriegsausbruch am 24. Februar wurde die Umsatzentwicklung aber stark gebremst.

Es ist aber durchaus ein bekanntes Phänomen, dass der Konsum von Menschen durch Großereignisse erstarrt. Das haben wir auch zu Beginn der Corona-Krise vor zwei Jahren feststellen können – auch damals blieb der Onlinehandel von der allgemeinen Verunsicherung nicht verschont. Obwohl die Menschen virengeschützt im Distanzhandel hätten bestellen können, waren sie dazu zunächst nicht bereit.

Bereits zu Beginn dieses Jahres haben die Preise drastisch angezogen. Die allgemein schlechter werdende Konsumstimmung der Menschen kam aber zunächst noch nicht im Onlinehandel an, im Gegenteil. Vor Kriegsbeginn hatten wir laut unserer Verbraucherbefragung im E-Commerce eine Umsatzzunahme von 11,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Seit Kriegsbeginn sieht es mit einem Wachstum von 2,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr ganz anders aus. So ist beispielsweise der Bekleidungssektor vor dem Kriegsbeginn noch um etwa 10 Prozent gewachsen, bis Ende März aber um 8,6 Prozent zurück gegangen.

Betrifft der Umsatzrückgang alle Branchen oder gibt es auch hier Unterschiede?

Wachstumsverlangsamungen oder gar -rückgänge sind in fast allen Kategorien zu beobachten. Hinzu kommt natürlich, dass einige Menschen jetzt wieder im Geschäft einkaufen.

Eine Ausnahme ist das Segment Medikamente. Die Vermutung liegt nahe, dass sich die Menschen mit dem Kriegsbeginn bei Versandapotheken unter anderem mit Jodtabletten ausgestattet haben. Dadurch beschleunigte sich das Umsatzwachstum von 20,3 Prozent vor dem Krieg auf nun 29,1 Prozent.

Andere Branchen haben saisonal stark aufgeholt. Nach der Pandemie möchten die Menschen das Frühjahr wieder genießen. Davon hat beispielsweise der Bereich Auto- und Motorradzubehör stark profitiert und sich von der Kriegsentwicklung nicht aufhalten lassen.

Das hat zur Folge, dass die Situation im Markt sehr unterschiedlich ist. Gerade in den nächsten Wochen wird hier noch einiges passieren. Durch hohe Kosten für Sprit und Heizkostennachzahlungen werden nicht notwendige, saisonal unabhängige Ausgaben eher zurückgestellt. Auf der anderen Seite vergleichen Menschen wieder zunehmend Preise, gerade online.

Ukraine-Krise: So sollten Onlinehändler jetzt reagieren

Welche Möglichkeiten bieten sich Onlinehändlern trotz negativer Konsumstimmung ihre Zielgruppe zu erreichen?

Wenn in der Bevölkerung eine generelle Konsumzurückhaltung herrscht, kann man zwar mit Werbung punktuell dagegen arbeiten, aber in der ersten Schockstarre erreicht man damit wenig.

Eine Alternative ist daher, zunächst das generische Sucherverhalten zu beobachten und den Moment der Normalisierung abzuwarten. Dann kann man auch wieder gezielt mit Paid Advertising reagieren. Insbesondere Unternehmen, die viel Printwerbung betreiben, stellen sich gleich mehreren Herausforderungen. Hohe Tonnagepreise für Papier erfordern etwa, dass Kataloge dünner werden müssen. Entsprechend muss dann noch genauer überlegt werden, welche Zielgruppe man ansprechen möchte. Alternativ kann der Ausfall kompensiert werden, indem ich andere Online-Kanäle stärker bespiele. Desto mehr Werbedruck online entsteht, desto teurer wird allerdings die Positionierung von Online-Werbeanzeigen.

Aufgrund der Lieferkettenprobleme sind viele Rohstoffe zudem nicht mehr preisstabil. Neben einer strengen Zielgruppeneingrenzung kommt also hinzu, dass sichergestellt sein muss, dass die beworbenen Produkte in ausreichender Menge und zum angegebenen Preis auch verfügbar sind. Aufgrund der Vorlaufzeit von Werbemitteln ist dies schwer zu steuern.

Wie können Unternehmen mit steigenden Logistikkosten umgehen?

Logistikkosten steigen sowohl für die Inbound-Fracht als auch für die Zustellkosten. Im Markt kann man bereits feststellen, dass viele Dinge, die bisher gratis waren, jetzt immer restriktiver gehandhabt werden. Ich denke, dass wir daher jetzt mehr Unternehmen sehen werden, die ihre Versandkosten weitergeben müssen.

Auch stellt sich hier die Frage, wie ich meine Werbung besser einsetzen kann. Ist es realistisch, mit Werbung die Menschen dazu zu bewegen, mehr als ein Produkt zu bestellen und damit die Kosten auf die Anzahl der Produkte aufzuteilen?

Denn bei vielen Einzelbestellungen sind die Grundkosten für eine Bestellung sehr hoch. Bündelungseffekte hingegen haben nicht nur einen finanziellen Vorteil für das Unternehmen, sondern sorgen zusätzlich für mehr Nachhaltigkeit aufgrund weniger Transporte.

Es wird also keiner darum herumkommen, in diesem Jahr die Werbemaschine wieder anzuwerfen. Anderes als in den Vorjahren, als die Leute ohne viel Marketing gekauft haben, wird man jetzt wieder um Kundinnen und Kunden kämpfen müssen.

Vielen Dank für deine Zeit und die umfassende Betrachtung der Krise. Wir sind gespannt, wie sich die Situation weiter entwickeln wird.

Sehr gerne. Bis bald.

E-Commerce Tipps im Trendbuch Digitale Champions: Jetzt kostenfrei herunterladen!

Wer größere Warenkörbe erzielen will, um steigende Kosten besser auszugleichen, braucht die richtige Strategie. Welche Maßnahmen euch dabei helfen, zeigen wir euch in unserem Handelskraft-Artikel am 17. Mai.

Digitale Champions Trendbuch Handelskraft 2022Weiter Tipps und Best Practices rund um den digitalen Handel findet ihr im
Handelskraft Trendbuch 2022 »Digitale Champions«. Füllt jetzt das Formular aus sichert euch euer Exemplar!

 

 

 

(6 Bewertung(en), Schnitt: 5,00 von 5)
Loading...