ERP und Shopsystem – genügen zwei Systeme für erfolgreichen Handel?

Das Buzzwort der Stunde heißt „Digitale Transformation“. Doch was bedeutet es? Genügt es, jeden Mitarbeiter im Unternehmen mit einem Computer auszustatten? Folgt man Thorsten Dirks Zitat, liegt die Antwort auf der Hand: Nein!

» Wenn Sie einen Scheißprozess digitalisieren, dann haben Sie einen scheiß digitalen Prozess.
Thorsten Dirks (Telefonica Deutschland) «

Vielmehr bedeutet digitale Transformation bestehende Geschäftsmodelle und Prozesse mit Hilfe digitaler Systeme effizienter zu verknüpfen und in großen Teilen zu automatisieren. Da Unternehmen für gewöhnlich aus vielen spezialisierten Einheiten bestehen, die ihre eigenen Systeme nutzen, sieht die Verzahnung der Teilsysteme auf dem Papier meist leichter aus, als es in der Realität ist. Daraus ergeben sich zwei Handlungsmöglichkeiten: Entweder man beginnt von Null und baut eine neue Systemlandschaft oder man modernisiert die bestehende.

Ein Schritt zurück – interaktiver Handel

Um zu verstehen, warum einem permanent Buzzworte wie „Cross-Channel“, „Omnichannel“ und „Customer Engagement“ begegnen, lohnt es sich einen Schritt zurück zu treten. Wo kommen diese Ideen eigentlich her? Alexander Graf von kassenzone.de hat für seine Spryker-Promo ein sinnvolles Drei-Phasen-Modell erstellt. Seine Phase 3 habe ich allerdings nicht übernommen. Ein E-Commerce-Framework ist eine hervorragende Denkweise – in der Praxis aber dennoch mit hohen Entwicklungskosten im Einzelprojekt verbunden. Daher fokussiere ich auf einen Mittelweg: Moderne Softwarelogik innerhalb einer schnell anwendbaren Standard-Lösung.

Phase 1: ERP rules!

Als der Onlineshop neu und „nur ein weiterer Vertriebskanal“ war, wurde er prinzipiell wie eine Filiale behandelt. Der Onlinekatalog. Das Business blieb führend im ERP. Das Ganze begann ziemlich genau 1995, als Menschen in langen Schlangen vor Computerläden warteten, um Windows95 zu kaufen. Damit begann sich auch das Internet bei Heimanwendern zu verbreiten. Parallel brachte Intershop die erste E-Commerce-Standard-Lösung auf den Markt. Das Internet verbreitete sich bei Heimanwendern.

Phase 2: Onlinehandel rules!

Mit steigenden E-Commerce-Umsätzen und der Annahme, dass der stationäre Handel aussterbe, wanderten jede Menge Funktionen, die vorher das ERP übernahm, in den Onlineshop. Die Grenze: Offline und Online bequem verknüpfen. Allerdings begann man zu realisieren, dass verschiede Kanäle und Touchpoints verknüpft werden müssen, weshalb führende Shoplösungen diversen Kundenanforderungen entsprechen mussten und so immer weiter mit Funktionalitäten vollgestopft wurden.

Phase 3: The Customer rules!

Im Vergleich zu Phase 1 und Phase 2 scheint die Systemlandschaft fragmentiert und chaotisch. Genauer betrachtet bildet sie die komplexe Realität des Kunden allerdings organisch ab und ermöglicht es, digitalisierten Unternehmenseinheiten ihre eigenen, besten Tools zur Verfügung zu stellen. Egal ob diese Werkzeuge Teil einer Gesamtlösung sind oder verschiedene Lösungs-Anbieter verzahnt werden, wichtig ist, dass die Systeme modular genug sind, um Daten bequem auszutauschen und in Zukunft flexibel verändert und erweitert werden zu können. Moderne Software-Architektur setzt hierbei auf Standardschnittstellen, APIs und Microservices. Intershop nennt das „Synaptic Commerce“.

Wie viele Systeme machen eine Landschaft?

Je nach Funktionsumfang ist es natürlich denkbar, alle – wirklich alle! – Funktionalitäten und Prozesse innerhalb einer einzigen Lösung abzubilden. Im Jahr 2016 denkt allerdings kaum noch jemand so. Wie Phase 3 zeigt, denkt man moderne Software-Architektur möglichst kleinteilig und modular. Mit diesem Lösungsansatz gehen auch Otto und Zalando auf Messen und Kongressen hausieren, wenn sie ihre hauseigenen Systeme vorstellen.

Für die konkrete Frage, ob zwei Systeme für erfolgreichen Handel genügen, bedeutet das: Ja, insofern ERP- und Shopsystem umfangreiche Funktionalitäten haben modernen Omnichannel-Commerce auf die Straße zu bringen. Allerdings – Buzzwort „Customer Engagement“ – sollte man die Frage anders stellen: Genügen zwei Systeme den Kunden in den Mittelpunkt zu stellen? Die Antwort darauf bleibt dieselbe, gewinnt aber eine Zeitkomponente. Denn: Der Kunde und seine Anforderungen verändern und entwickeln sich.

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