Die neue Bewertungsgesellschaft: „Like mich am Arsch!“ [Kommentar]

Grafik:Ksayer1
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Heute schon Sterne für etwas vergeben? Ein Smile-Emoticon unter einem Facebook-Post hinterlassen? Oder gar Bewertungen auf Amazon mit einem „Hilfreich“ bewertet? Heutzutage kann man alles und jeden bewerten: Den Arbeitgeber auf Kununu, seinen Arzt auf Jameda oder aber ganz einfach den aktuell laufenden Spotify-Song. Bewertungen sind omnipräsent. Spricht man im digitalen Umfeld von „disruptiven Technologien“, verliert man leicht den Blick für die kleinen Dinge, die aber einen umso stärkeren Einfluss auf unsere Gesellschaft besitzen.
 
Und Bewertungen gehören eben zu solch kleinen Dingen. Nichtzuletzt beeinflussen Bewertungen mein Kaufverhalten und geben mir beispielsweise auf Facebook mit verschiedenen Emoticons vor, was ich – bevor ich einen Post gelesen habe – über ein gewisses Thema zu denken habe. Daher ein paar Gedanken zur Blackbox „Online Ratings“:

 

Bewertungen sind Alltag

Um den Einfluss von Bewertungen zu verstehen, sollte man sich einfach mal fragen, wie oft man schon eine Bewertung abgegeben hat und wie oft man auf Wertungen vertraut: Gestern habe ich mir eine Pizza online bestellt – heute habe ich die Mail im Postfach „Bitte bewerte deine Pizza“. Am Tag davor habe ich mir eine neue App auf meinem Smartphone installiert – wenige Minuten nach dem ersten Start werde ich gefragt, ob mir die App gefällt und ob ich das nicht auch gerne im Play Store kundtun möchte. Auch soll ich noch meine letzten Bestellungen auf Amazon bewerten. Das mach ich natürlich und nebenbei lese ich mir die Bewertungen anderer Amazon-Nutzer durch und gebe diesen ein „War hilfreich“ oder „War nicht hilfreich“.

… und das sind nur die Bewertungen an die ich mich jetzt gerade noch erinnere. Die Dunkelziffer an Bewertungsanfragen geht definitiv über diese kleine Anzahl an Beispielen hinaus. Ob dieser Bewertungswahn nervig ist? Naja, man hat sich eben daran gewöhnt.

Denn spätestens bei der Produktrecherche für neue Anschaffungen weiß man ja, wofür man das macht: Auf Amazon nur 3 Sterne bei 2.000 Rezensionen? Kann nicht gut sein. 2 Sterne auf Jameda für den Hausarzt um die Ecke? Ne, da bleib ich lieber krank im Bett liegen. Der Artikel einer Zeitung auf Facebook hat nur Likes und Smiles? Darin kann es definitiv nicht um Politik gehen. Sterne, Daumen hoch und Co. geben mir die Antwort auf die Fragen „Taugt das was?“ und „Was kann ich erwarten?“ im Bruchteil einer Sekunde.

Vertrauen ist gut, hohes Rating ist besser

Und so strukturiert man sein Kundenverhalten am Rating und hört auf Dinge zu hinterfragen. Denn wer liest sich schon alle Rezensionen zu einem Produkt tatsächlich durch? Wieso auch? Der eine Stern spricht ja Bände. Nimmt man sich dennoch die Zeit, beispielsweise auf Amazon, merkt man schnell, dass niedrige Bewertungen gut und gerne mal gar nichts mit dem Produkt an sich zu tun haben, sondern eher nicht eingehaltene Amazon-Versprechen, wie „Next Day Delivery“, abstrafen.

Dazu kommen noch Meldungen über Fake-Rezensionen: Der Produkthersteller kauft eine positive Rezension für sich oder eine negative für Konkurrenten ein… und schon ist das Bewertungsbild verzerrt. Manche Bewertungsplattformen verzerren das Rating dabei noch selbst. So musste Jameda kürzlich ein Profil einer Ärztin auf Geheiß des Bundesgerichtshofs löschen. Grund: Die Ärztin fühlte sich in ihren Persönlichkeitsrechten angegriffen und wollte nicht, dass Werbung für andere Ärzte, die einen Jameda-Premium-Account besitzen, auf ihrem Profil erscheint.

Dieses Urteil hat Signalwirkung für andere Bewertungsportale, wie beispielsweise Yelp oder HolidayCheck. Die Deichkindzeile „Like mich am Arsch“ erhält so einen praxisnahen Bezug: Sobald man eine niedrige Bewertung auf einem Portal hat, klagt man sich raus. So wirkt das Urteil zumindest auf den ersten Blick. Rechtsexperten haben aber schon angemerkt, dass das BGH-Urteil nicht auf jede Bewertungsplattform anzuwenden ist.

Rechtsanwältin Dr. Heike Freunde schreibt auf deutsche-startups.de dazu:

» Da der BGH an seiner Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Bewertungsportalen im Grundsatz festhält, ist bei einer Berücksichtigung der ergänzenden Kriterien allerdings nicht zu erwarten, dass nun massenhaft erfolgreiche Löschungsverfahren geführt werden. Die bisher veröffentlichten Ausführungen des BGH lassen auch nicht den Schluss zu, dass die Werbefinanzierung von Bewertungsportalen als solche deren Neutralität immer in einem Maß in Frage stellt, dass Betroffene systematisch die Löschung ihres Profils verlangen können. «

Also ja, Unternehmen können durchaus die Löschung ihrer Daten auf Bewertungsplattformen verlangen, aber nur solange, wie der Tatbestand „fehlende Neutralität“ nachgewiesen werden kann. Bei der Ärztin auf Jameda war dies gegeben, da Premium-Mitglieder Werbung auf ihrer „Nicht-Premium“-Bewertungsseite schalten konnten.

Wie mit der Bewertungsinflation umgehen?

Das BGH-Urteil scheint dabei nur eine weitere Posse im so undurchsichtigen Bewertungsdschungel zu sein. Es ist schon paradox, je mehr man darüber nachdenkt: Teilweise ähneln Bewertungsplattformen einer Blackbox, bei der am Ende ein messbarer Wert (Sterne, Likes, whatever) herauspurzelt… und dieser Wert sorgt dafür, dass man sich eben für Produkt A entscheidet oder nicht.

Laut einer Bitkom-Studie lesen sich insgesamt 72 Prozent der Onlineshopper vor dem Kauf eine Bewertung zum Produkt durch – wobei mal definiert werden müsste, was da unter „lesen“ verstanden wird. Unternehmen haben daher gar keine andere Wahl, als diesem Bewertungswahnsinn beizuwohnen.

Tipps, wie Unternehmen Ratings für sich nutzen sollten, gibt es viele. Der Spruch „Bad publicity is better than no publicity“ ist dabei allgemeingültig: Negative Bewertungen sollten immer(!) vom Unternehmen kommentiert werden. Entweder mit dem Versprechen das Produkt zu verbessern, einem Ratschlag um ein vorliegendes Problem zu lösen oder – sofern es die Situation hergibt – mit Humor.

Bewertungen per se sind nicht schlecht

Nicht falsch verstehen: Bewertungen sind eine Grundsäule des E-Commerce. Ratings und Co. sind das digitale Pendant zur Empfehlung durch Freunde, Verwandte oder Kollegen. Dennoch sollte man mal darüber nachdenken, ob man Vertrauen einem Produkt gegenüber nicht auch auf einem anderen Weg herstellen kann. Im Printkatalogzeitalter ging das ja auch irgendwie.

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