Jenseits der Realität – Politiker und die New Economy [Kommentar]

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Foto: premasagar via flickr

Für Diskussion sorgt aktuell der Artikel „In Diekmanns Armen“, der sich mit dem Verhältnis der Politik zur Internetwirtschaft auseinandersetzt. Der Artikel der Zeit ist durchaus kontrovers und kann vielfältig verstanden werden. Auf internetworld.de wird der Artikel als Angriff auf die Web-Wirtschaft gesehen, als Aufwärmen alter IT-Klischees:

» Wenn „Bild“-Chef Kai Diekmann Bundeswirtschaftsminister Philip Rösler umarmt, mag einen das bedenklich stimmen.
Noch bedenklicher aber ist, wenn ein „Zeit“-Redakteur in einem Artikel, der gestern online der am viertmeisten gelesene des Tages war, vom „diffusen Glanz des Internets“, von dem Politiker zu profitieren suchen, schreibt, oder den „arg milchbubigen Gründern einer Internetanwendung“ – und sich wundert, dass Angela Merkel „Interesse an dieser eigentümlichen Branche heuchelt“. «


Dieser Eindruck kann durchaus beim Lesen entstehen. Lässt man sich allerdings nicht auf die antiquierten Klischees und typischen Seitenhiebe ein, liest sich der Artikel nicht als Angriff, sondern als Kopfschütteln über die Politik. Die ist offensichtlich in ihrer Sichtweise auf die New Economy stehen geblieben. Der Schlüsselsatz lautet:

» Auch zwanzig Jahre nach der Einführung des Browsers gilt das Netz den hiesigen Politikern nicht einfach als Alltagsmedium, sondern immer noch als Ausweis einer metaphysischen Zukunftskompetenz. «

Das Verhältnis zwischen New Economy und Politik ist alles andere als geerdet. Noch immer lässt man sich mit Branchengrößen ablichten und hofft dabei, irgendwie modern zu wirken, so wie vergangene Woche beim Berlin-Besuch von Mark Zuckerberg geschehen.

Unbeholfene Zusammentreffen wie diese stehen in krassem Gegensatz zu dem, was aktuell vorgeht – Datenschutzbedenken, Social Müdia, oder die Streiks in den Logistikzentren von Amazon. Wie im Artikel festgestellt wird, ist auch die Internetbranche kein Bonbonladen, wird aber noch immer so dargestellt und damit (bewusst?) kleingeredet. Das Internet und der digitale Handel sind längst den Kinderschuhen entwachsen und haben dementsprechend größere Probleme zu lösen, bei denen auch die Politik gefragt ist.

„Online“ ist keine krisenfreie Zone – Symbolpolitik reicht nicht

Auffällig ist, dass man sich betont mit Startups und Social Media beschäftigt – über die „handfestere“ Bedeutung des Internets für den Handel wird nur am Rande etwas gesagt. Was ist aber mit den zahlreichen Branchen, in denen das Internet Wachstumstreiber und Bedrohung zugleich ist? Dass 45 Millionen Deutsche online shoppen und sich damit die Welt des Handels gerade grundlegend verändert?

Auch im E-Commerce hängt der Himmel nicht voller Geigen – Politiker sind gefordert, dessen Dynamik zu verstehen, um im Bedarfsfall entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen. Denn auch der Onlinehandel hat inzwischen seinen Welpenschutz verloren, seine eigenen Skandale und Schattenseiten entwickelt, wie es das Handelsblatt nennt. Etwa das Thema kostenloser Versand, der einerseits die Margen der Händler schrumpft, andererseits von den Mitarbeitern der Logistikzentren und den Zustellern mitgetragen wird. Dazu kommen:

  • Arbeitsbedingungen in Logistikzentren generell
  • Umweltschäden, die durch Same-Day-Delivery und übermäßiges Retournieren entstehen (Stichwort „Zalando-Partys“)
  • Die dahinterstehende Gedankenlosigkeit auf Seite der Verbraucher
  • Strukturwandel – was passiert mit den Innenstädten?

Neben diesen Fragen brennt zunehmend auch das Thema Verbraucherschutz, denn noch immer haben erschreckend viele Menschen keine Vorstellung, welche Rechte und Pflichten der Kauf im Internet mit sich bringt.

Fazit

Auch „im Internet“ gibt es Probleme, die es zu thematisieren und zu lösen gilt. Mal technikgläubige, mal das Netz und dessen Einfluss kleinredende, angesichts von Zuckerberg & Co zu keinem kritischen Gedanken mehr fähige Politiker helfen und dabei jedenfalls nicht weiter.

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