Digitale Transformation: Heiße Luft vs. Best Practice

dog with vacuum cleaner
Quelle: fotolia

Digital ist besser! So lautete 1995 der Titel des Debütalbums der Band Tocotronic. Eher ironisch kam das zu jener Zeit daher, als Mobiltelefone so groß und schwer wie Ziegelsteine waren. Wenige Jahre später fand Boris Becker den Weg ins Internet. „Bin ich schon drin, oder was?“ fragte er naiv und zeigte den Weg in die digitale Zukunft. Anschließend die dotcom-Zeit, in der sich die Netzpioniere sicher waren, dass in Sachen Digitalisierung ab sofort alles ganz schnell geht.

Sicherlich, es konnte gar nicht anders sein, denn technische Innovationen orientierten sich am exponentiellen Wachstum der Rechenleistung von Computerchips. Es war nur eine Frage der Zeit, bis wir uns an die graue, analoge Vorzeit gar nicht mehr erinnern könnten. Leider, so meint man in verzweifelten Momenten, scheint die Realität mit der Vision nicht schritthalten zu können. So bewegt man sich im breiten Spektrum der digitalen Transformation zwischen viel heißer Luft und zu wenig visionären Best-Practices.

Digitale Erwartungen nach unten schrauben

„Lower your expectations!“ heißt es im Beratersprech, wenn man in die notorische Unzufriedenheit in Führungsetagen von Händlern und Herstellern kleinreden möchte. Man dürfe nicht sofort mit dem großen Wurf rechnen. Prozesse und Veränderung würden Zeit brauchen. Das Tal der Tränen müsse mutig durchschwommen werden, um am Ende wieder Land zu sehen. Doch behalten Sie die Vision stets im Blick!

Prima, endlich hat man die Taschen voller Metaphern der eigenen Situation. Dort ist ja nun Platz, die Sender der tiefgründigen Botschaften waren schließlich teuer eingekauft.

Anschließend passiert meiner Beobachtung nach häufig dasselbe. Die Powerpointfolien für die Initiativen zur digitalen Transformation werden hübscher und die Vision rhetorisch ausgefeilter. Nunja, letzteres bedeutet ehrlicherweise oft nur, dass man den Begriff „Kunde“ in den Mittelpunkt stellt. Aber hey, warum sollte „lower your expectations“ nicht auch für mich gelten?

An der Meeting-„Kultur“, dem Agendasetting, der Terminvorbereitung durch die Fachabteilungen ändert sich Nichts. Workshopmoderatoren? Neue Methoden? Timeboxing? Laptop und Smartphone abschalten und sich fokussieren? Pah, da könnte ja jeder kommen! Denn nur, weil es um Veränderung (Transformation!) gehen soll, heißt es längst nicht, dass der Satz „Das haben wir schon immer so gemacht!“ nicht gilt.

Die Flucht aus der Komfortzone

Jeder zweite Euro im E-Commerce landet bei Amazon. Googles Mobile-First-Index und das mobile Nutzerverhalten zwingen zum Denken in „mobile first“. Zukunftsfähigkeit bedeutet das eigene Geschäftsmodell auf Wettbewerbs- und Kooperationsfähigkeit in der GAFA-Ökonomie zu prüfen und gegebenenfalls daran anzupassen. Das ist für neue Marktteilnehmer, Startups und junge Unternehmen klar, doch auch für Traditionsunternehmen ist der Wandel möglich.

Meine aktuelle Lieblings-Best-Practice ist der Hersteller von Rollenoffsetdruckmaschinen manroland web systems. 2017 präsentierte man unauffällig während einer Expo-Session auf der K5, wie man gerade am eigenen Marktplatz schraube. Man wolle klein starten und prüfen, ob Kunden das neue Angebot annehmen, bevor man zu viel Zeit und Geld investiert. Wow, ein MVP! Live und in echt! Nicht nur eine Strategie-Powerpointfolie!

Der Grund der Marktplatz-Initiative: manroland web systems wurde von seinen Industriekunden immer wieder um Beratung gebeten. Welche Farbe oder Papiersorten sorgt für das beste Druckergebnis? Wo kann man diese Güter beziehen? Immer wieder stellte manroland den Kontakt zwischen eigenen Kunden und Drittanbietern her. Warum die Güter rund um erfolgreichen Industriedruck also nicht zugänglich und direkt kaufbar machen?

Für manroland web systems scheint das der Trigger zur Geschäftsmodellinnovation gewesen zu sein. Warum sollte man sich auch mit einem Marktanteil von über 50 Prozent bei Zeitungsdruckmaschinen und knapp 80 Prozent im Geschäft mit Maschinen für den Illustrationsrollenoffsetdruck zufriedengeben? That’s the spirit!

Neben dem Marktplatz steigt manroland derzeit in die Produktfotografie ein. Die Herausforderung hochwertiger Industrieproduktfotos bestand für den Hersteller selbst. Die Lösung wurde am Ende mit einem Partner individuell gefertigt. Doch statt nur das eigene Problem zu lösen bietet man nun Drittanbietern und Marktplatzteilnehmern die Produktfotografie als Service inklusive Logistik an. Das wird sicher kein neues Kerngeschäft, senkt aber die Investitionskosten für den Produktfotoautomaten und erhöht die Marktplatzqualität auf B2C-Niveau.

Getting things done

Der manroland case zeigt beeindruckend, das hinter den Marketingfolien der digitalen Transformation durchaus Substanz steckt. Der Unterschied zwischen heißer Luft und Best-Practice ist ganz klar die „Execution“, um im Beratersprech zu bleiben.

Dabei hilft konkret eine Änderung. Man sollte aufhören Abteilungen und Personal durch die digitale Transformation zuerst noch mehr ToDos zu geben. Wichtiger und zeitsparender ist eine Not-To-Do-Liste! Was müssen wir lassen, um erfolgreicher zu werden. Es lohnt sich gemeinsam solche Listen zu erarbeiten, um konkrete Konfliktlinien und Bedürfnisse zu identifizieren. Dann lässt man im Meeting auch mal den Laptop zu und fokussiert sich konkret auf die Vision. Ganz ohne Powerpoint.

Ich hoffe, dass die K5 dieses Jahr ähnlich spannende Insights bietet. Wer sich vor Ort über Not-To-Do-Listen informieren möchte, trifft uns an Stand 64 und kann über unsere Ticketverlosung auch noch gratis auf die Konferenz. Auf der Expo Stage wird dieses Jahr auch Yves Lüthi von geschenkidee.ch über die konkrete Umsetzung ihres Chatbots sprechen.

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